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Problemstellung und theoretischer Hintergrund

Experimentieren als Prozess naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung rückte in den letzten Jahren zunehmend ins bildungspolitische und öffentliche Interesse. Obgleich diese Art der Erkenntnisgewinnung schon lange zum Kern naturwissenschaftlicher Bildung gehört, wird neben Möglichkeiten der spielerischen Heranführung von Kindern im Vorschulalter an Naturwissenschaft und Technik nun verstärkt die konzeptionelle Aufarbeitung von Experimentieren als wissenschaftsmethodische Kompetenz (vor allem für den schulischen Bildungsbereich) untersucht und weiterentwickelt. Die Arbeit des Promotionskollegs ExMNU leistet hierzu einen Beitrag.

In der dritten PISA Studie im Jahr 2006 waren die Naturwissenschaften Schwerpunktthema. Die Erhebung orientierte sich dabei in ihrer konzeptionelle Ausrichtung an der Scientific Literacy“, der naturwissenschaftlichen Grundbildung.>In Scientific Literacy wird zwischen drei Teilkompetenzen unterschieden: Es wird unterschieden, ob der/die Schüler/in a) die naturwissenschaftliche Fragestellungen erkennen kann (Differenzieren von naturwissenschaftlichen und nicht naturwissenschaftlichen Fragestellungen), b) die naturwissenschaftliche Phänomene erklären kann (Beschreiben, Erklären und Vorhersagen von Phänomenen) sowie c) naturwissenschaftliche Evidenz nutzen kann (Umgehen mit empirischer Evidenz und naturwissenschaftlichen Schlussfolgerungen). PISA, aber auch andere internationale Schulleistungsstudien bescheinigen deutschen Schülerinnen und Schülern nur eine mittelmäßige Leistungsfähigkeit bei der eigenständigen Lösung von Problemaufgaben aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Kontext (bspw. Baumert & Lehmann (TIMSS), 1997, Rost et al., 2004). Dabei werden zwei Problemtypen unterschieden: das „analytische“ und das „dynamische“ Problemlösen (Klieme, Leutner & Wirth, 2005). Im Rahmen des Promotionskollegs interessiert uns insbesondere das analytische Problemlösen, da Experimentieren wesentliche Merkmale dieses Problemlösetyps aufweist

Was aber meinen wir, wenn wir von ‚Experimentieren’ oder experimentellem Handeln sprechen? Unter Experimentieren im mathematisch-naturwissenschaftlichen Kontext versteht man im allgemeinen ein vermutungsgeleitetes, systematisches und methodisch kontrolliertes Eingreifen in ein Naturgeschehen/beobachtetes Phänomen/eine Problemstruktur, mit dem Ziel unter (kontrollierter) Konstanthaltung bzw. Variation von Zustandsgrößen ('Parameter', unabhängige Variablen) einen Zusammenhang (im bestmöglichen Fall eine kausale Kopplung) von zwei Variablen nachzuweisen.

In Anlehnung an Klahr (2000) kann das Experiment als ein komplexer Prozess des Problemlösens, genauer noch als ein herausragendes Element des Prozesses naturwissenschaftlichen Entdeckens (scientific discovery) aufgefasst werden. In dieser Vorstellung wird die experimentelle Vorgehensweise als „Dual-Search-Model“ konstruiert, die eine Suche in zwei Suchräumen (Hypothesen-Suchraum und Experimentier-Suchraum) sowie eine Phase der Datenauswertung und Interpretation umfasst (nach Klahr, 2000).

Untersucht man nun den naturwissenschaftlichen Unterricht in deutschen Schulen ist festzustellen, dass Experimente zwar ein wesentlicher Bestandteil des naturwissenschaftlichen Unterrichts sind, häufig jedoch in Form von Demonstrationsexperimenten stattfinden und Aktivitäten des forschenden Lernens selten umgesetzt werden (Prenzel et al.,  2008, S. 14).

Wie Experimente im Unterricht eingesetzt werden und welche Art des Einsatzes von Experimenten im Unterricht konkret welche Wirkungen zeitigen, kann aus empirischer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht befriedigend beantwortet werden, da diese Fragestellung von der Unterrichtsforschung noch wenig bearbeitet wurde (Hamann, 2007, Ehmer, 2008). Erschwerend kommt hinzu, dass es noch kaum Erkenntnisse darüber gibt, wie a) die Kompetenz des naturwissenschaftlichen Experimentierens auf den unterschiedlichen Schulstufen erfasst werden kann und b) welche kognitive Strukturen der  experimentelle Kompetenz zugrunde liegen und c) wie sich diese Kompetenz entwickelt. Es ist allerdings eine offene Frage,  ob dieses Modell auf alle naturwissenschaftlichen Fächer sowie auf die Mathematik übertragbar ist und falls ja, in welchen Teilen.

Insgesamt orientiert sich das ExMNU Kolleg an bestehenden Modellen und Messverfahren zum Experimentieren als wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung (Hammann, 2004, Klahr, 2000). Diese werden jedoch dahingehend adaptiert oder erweitert, dass sie sich der Konzeption der Unterrichtsinhalte zur Förderung der Experimentierkompetenz strukturell anpassen. Desweiteren werden diese vorhandenen Modelle auf ihre Tauglichkeit hinsichtlich der Erfassung einer domänenübergreifenden Experimentierkompetenz hinterfragt.

 

Zentrale Ziele des Promotionskollegs bestehen darin, zu untersuchen,

i) Experimente im Unterricht fachdidaktisch begründet und empirisch abgesichert zur Unterstützung des inhaltlichen Lernens und des Kompetenzerwerbs im Unterricht eingesetzt werden können und

ii) die Experimentierkompetenz von Schülern diagnostiziert und gezielt gefördert werden kann.

Zu den undefinedforschungsrelevanten Zielen im Detail.

 

Referenzen

Baumert, J., Lehmann, R. (Eds.) (1997). TIMSS - Third International Mathematics and Science Study: Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie: Anlage, Fragestellungen und Durchführung der TIMSS-Studie in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: Max-Planck-Inst. für Bildungsforschung.

Ehmer, M. (2008). Förderung von kognitiven Fähigkeiten beim Experimentieren im Biologieunterricht der 6. Klasse: Eine Untersuchung zur Wirksamkeit von methodischem, epistemologischem und negativem Wissen. Dissertationsschrift an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Hammann, M. (2004). Kompetenzentwicklungsmodelle. Merkmale und ihre Bedeutung – dargestellt anhand von Kompetenzen beim Experimentieren. Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht. MNU 57/4 (1.6.2004), 196 – 203. Troisdorf: Bildungsverlag E1NS – Dümmler.

Hammann, M., Phan, T. T. H., & Bayrhuber, H. (2007).  Experimentieren als Problemlösen: Lässt sich das SDDS-Modell nutzen, um unterschiedliche Dimensionen beim Experimentieren zu messen?   In: J. Baumert, & al. (Hrsg.),  Zeitschrift für Erziehungswissenschaften. Sonderheft 8: Kompetenzdiagnostik, 33 – 49. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Klahr, D. (2000/02). Exploring Science. The Cognition and Development of Discovery Processes. London: The MIT Press (Massachusetts Institute of Technology).

Klieme, E., Leutner, D. & Wirth, J. (Hrsg.) (2005). Problemlösekompetenz von Schülerinnen und Schülern. Diagnostische Ansätze, theoretische Grundlagen und empirische Befunde der deutschen PISA-2000-Studie. Wiesbaden: VS Verlag.

Rost, J., Prenzel, M., Carstensen, C., Senkbeil, M. & Groß, K. (2004).  Naturwissenschaftliche Bildung in Deutschland. Methoden und Ergebnisse von PISA 2000. Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften.